Gut Ding will (W)Eile haben

Stellen Sie sich einmal vor, Sie stehen vor der Entscheidung, ein Haus als Geldanlage zu kaufen: 6 Sekunden denken Sie über die möglichen Risiken der Immobilie nach: Überflutungsgefahr? Erdbebengebiet? Schlimme Nachbarn? So was eben. 54 Sekunden schauen Sie sich dann die reinen Fakten an: Baujahr? Quadratmeter? Heizung? Auch nicht ganz unwichtig. Den Großteil Ihrer Zeit aber – nämlich 3 Minuten und 24 Sekunden – analysieren Sie, wie sich der Hauspreis in den letzten Tagen entwickelt hat. Und dann schlagen Sie zu!
Klingt alles ziemlich absurd, oder? Niemand würde so jemals ein Haus kaufen! Eine Studie der New Yorker Universität hat aber kürzlich festgestellt, dass der durchschnittliche Privatanleger exakt so beim Aktienkauf vorgeht! 6 Sekunden schaut er auf mögliche Risiken, 54 Sekunden auf Fundamentaldaten und etwa dreieinhalb Minuten auf die Kursschwankungen der letzten Tage.
Zugegeben: Mein Vergleich mit dem Haus hinkt ein bisschen. Schließlich geht es da in der Regel um weit größere Summen. Erschreckend ist die Statistik trotzdem. Denn hier wird einmal mehr klar, dass viel zu viele Menschen das Thema Börse nicht als Chance begreifen, ihr Geld langfristig und solide anzulegen, sondern schlicht als Zockerei – und das dürfte hierzulande kaum anders sein. Dass man heutzutage per Fingertipp auf dem Smartphone fast gebührenfrei in Sekundenschnelle Aktien kaufen und verkaufen kann, ist da auch nicht unbedingt förderlich.
Verstehen Sie mich richtig: Man muss nicht zwingend wochenlang Bilanzen wälzen, Quartalszahlen aufdröseln und Branchenprognosen studieren, bevor man eine Aktie kauft. Aber am Ende sollte sich trotzdem jeder Anleger stets noch seine eigenen Gedanken machen und verstehen, in was er sein hart verdientes Geld überhaupt steckt. Denn: Je besser man „seine“ Unternehmen kennt und je überzeugter man von den Perspektiven ist, desto eher steht man auch hinter dem Investment in Phasen, in denen es an der Börse mal drunter und drüber geht. Phasen wie im April. Wohl dem, der da nicht vor lauter Panik auf den Verkaufsknopf der Broker-App gedrückt hat – denn die Erholung kam mal wieder schneller als gedacht.
Ich bin überzeugt: Wer sich mit seinen Unternehmen wohlfühlt, der hält solch turbulente Zeiten einfach leichter aus. Genau wie ein zufriedener Hausbesitzer, der nicht gleich beim ersten Hagelschaden zum Hörer greift und den Makler bestellt.

Newsletter vom 23. Juli 2025
Joachim Brandmaier – Börsenpraktiker
Stuttgarter Aktienbrief „Börse Aktuell“
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