Liegt das Tief schon hinter uns?

„Die Pessimisten haben die Schlagzeilen, die Optimisten die Gewinne.“ So lautet seit Jahrzehnten einer meiner Leitsprüche. Denn gerade wenn die meisten Anleger Schwarzsehen und die Kurse entsprechend nachgegeben haben, bieten sich oft die besten Gelegenheiten zum Aktienkauf. Aber wie misst man eigentlich Pessimismus? Gibt es einen Indikator, der zuverlässig den Anteil der Trübsalbläser am Aktienmarkt zeigt, und lässt sich damit vielleicht abschätzen, wann das Krisentief erreicht ist?

Schön wär’s! Aber den einen funktionierenden Pessimismus-Messer gibt es nicht. Allerdings: eine ganze Latte von Hinweisen. Wenn zum Beispiel wie jetzt auch viele Qualitätsaktien 20 bis 40 Prozent unter Allzeithoch stehen, deutet das nicht gerade auf überschäumende Euphorie hin, sondern eher auf eine ordentliche Portion Pessimismus. Und wenn in der Bild-Zeitung Schlagzeilen auftauchen wie „Crash-Angst an der Börse!“ wird ebenfalls klar, dass die Schwarzseher Hochkonjunktur haben.

Natürlich gibt es auch Indikatoren, die die Gemütslage der Anleger viel wissenschaftlicher angehen. Das Put-Call-Ratio etwa misst, wie viele Börsianer mit Hebelpapieren auf fallende oder auf steigende Kurse wetten. Bereits im Juni hat dieses Angst-Gier-Barometer so pessimistisch ausgeschlagen wie seit dem Coronatief nicht mehr.

Spannend sind auch Umfragen, beispielsweise eine unter US-Privatanlegern, die seit Jahrzehnten durchgeführt wird. Sie zählte zuletzt so viele ängstliche Kleinaktionäre wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Auch professionelle Anleger werden regelmäßig über ihre Stimmungslage ausgequetscht. Die Bank of America befragt jede Woche über 250 Fondsmanager. Jüngstes Ergebnis: Die Milliardenverwalter horten so viel Bares wie zuletzt 2001.

All das deutet meiner Meinung nach auf jede Menge Pessimismus hin – und damit vielleicht auch darauf, dass das Krisentief nicht mehr weit ist (oder sogar schon hinter uns liegt). Genau werden wir es wie immer erst im Nachhinein wissen und den Tiefpunkt beim Kauf erwischt man ohnehin nie. Wer aber jetzt bei Qualitätsaktien zugreift, bekommt viele Titel weit günstiger als noch am Jahresanfang – und wird eines Tages ebenfalls sagen können: „Die Pessimisten haben die Schlagzeilen, die Optimisten die Gewinne!“

Newsletter vom 27. Juli 2022

Joachim Brandmaier – Börsenpraktiker
Stuttgarter Aktienbrief „Börse Aktuell“

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