Stabilisierungstendenz an den Aktienbörsen – zu Recht?

Viele Aktienindizes konnten seit Anfang Oktober deutlich zulegen. Offensichtlich haben Anlegende begonnen, durch die akuten Krisen und Rezessionserwartungen für das Winterhalbjahr hindurchzuschauen und damit den ab Frühjahr 2023 zu erwartenden konjunkturellen Aufschwung im Blick. Zudem kam immer wieder die Hoffnung zum Tragen, dass die rasanten Zinserhöhungszyklen vieler Notenbanken doch nicht im bisherigen Tempo anhalten werden.

Diese Erwartung bekam mit der Veröffentlichung der Oktober-Inflationsdaten für die USA einen massiven Anschub. Sowohl der Anstieg der Verbraucherpreise um 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, als auch die Kernrate der Inflation mit 6,3 Prozent lagen unterhalb der Vormonatswerte und unterhalb der Erwartungen. Angesichts der auch in den USA spürbaren konjunkturellen Abkühlung dürften die Inflationsraten künftig weiter fallen. Trotzdem ist beim letzten Zinsentscheid der US-Notenbank Fed im Dezember mit einer Anhebung der Leitzinsen um 0,50 oder 0,75 Prozentpunkte zu rechnen. Immer wahrscheinlicher wird aber auch, dass Anfang 2023 zunächst eine geldpolitische Pause eingelegt wird, um die weitere Wirkung des bisherigen Zinsanstiegs abzuwarten.

In der Eurozone hingegen ist die Inflationsspitze noch nicht überschritten. So wurde für Deutschland eine Oktober-Preissteigerungsrate in Höhe von 10,4 Prozent bestätigt. Sinkende Preise an den internationalen Rohstoffmärkten kommen hier aufgrund des schwachen Euros nur abgemildert zum Tragen. Zudem brachen zwar die Gaspreise im Großhandel in Europa zuletzt förmlich ein, nachdem die europäischen Gaslager nahezu vollständig gefüllt sind und aufgrund der milden Witterung der letzten Wochen die Nachfrage nur leicht angestiegen ist, allerdings werden die erhöhten Energiepreise der vergangenen Monate erst mit einem Zeitverzug auf die Endverbraucher durchgereicht und halten damit den Inflationsdruck hoch.

Auch wenn Euphorie angesichts diverser bestehender Risikofaktoren nicht angebracht wäre, sind die Perspektiven für Anlegende mit Blick auf das Jahresende nicht schlecht. So konnten viele Aktienindizes zuletzt mittelfristige Abwärtstrends durchbrechen. Die Zinsen dürften deutlich weniger stark ansteigen als seit Anfang 2022, bei längeren Laufzeiten rezessionsbedingt zwischenzeitlich auch einmal wieder fallen. Und Aktien profitieren von nachgebenden Rohstoffpreisen, sinkenden Zinssorgen sowie einer anhaltend negativen Realrendite.

Newsletter vom 16. November 2022

Carsten Mumm – Chefvolkswirt und
Leiter der Kapitalmarktanalyse
Privatbank Donner & Reuschel

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